24/11/2013
"Wer schnattert, kriegt nichts mit"
Warum sind die Deutschen beim Essen so kleinbürgerlich und ungebildet? Ist 1968 schuld? Ein Gespräch mit Jürgen Dollase, Deutschlands einflussreichstem Gastronomiekritiker.
Jürgen Dollase war Rockmusiker und ist heute Gastrokritiker. Er hat mit seiner Konzeption ("Neue deutsche Küche") modernen kreativen Köchen die Freiheit geschaffen, sich von der französischen Küche zu emanzipieren.
GESPRÄCH : PETER UNFRIED
An einem trüben Spätherbsttag sitzen Bärbel und Jürgen Dollase zur Mittagszeit in der Küche des Düsseldorfer Restaurants U. vor je einem Glas Wasser. Am Herd steht Spitzenkoch Bastian Falkenroth und bereitet den Abend vor. Das U. öffnet erst um 19 Uhr. Die Dollases schätzen Falkenroths kreative Küche. Dollase reist und testet als Kritiker stets in Begleitung seiner Frau - und Hund Sophie. Bärbel Dollase hat seine Entwicklung vom ruinösen Rock-'n'-Roll-und-Roth-Händle-Leben zum intellektuellen Essphilosophen entscheidend beeinflusst. Am Gespräch teilnehmen will sie nicht.
sonntaz: Herr Dollase, ich kenne Goethe, Dutschke, das Werk von Neil Young, lese "New Yorker" und den Bericht des Weltklimarats. Nur über Essen weiß ich nichts. Was läuft schief?
Jürgen Dollase: Die soziale Rückkopplung scheint in diesem Bereich komplett zu fehlen. Bei Umweltverschmutzung reagiert man in Deutschland hysterisch. Aber die Verkopplung von Essen und Gesellschaft haben wir noch nicht verstanden. Das betrifft gerade auch die Intellektuellen. Wenn man aggressiv wäre, müsste man sagen: Schlecht essen ist wie sich nicht waschen.
Warum?
Essen ist einer der wenigen Bereiche, der alle Menschen von morgens bis abends betrifft und der einen riesigen Rattenschwanz von Folgen hinter sich herzieht, von der Gesundheit und dem psychischen Wohlbefinden bis hin zur Gestaltung unserer Städte. Es gibt Kleinstädte, da ist kein Restaurant mehr in der Mitte, ganz anders als etwa in Italien. Wer da Essen zur Geschmacksache erklärt oder zur Privatsache, der hat die Zusammenhänge nicht erkannt.
Sind Gesellschaften, die mehr fürs Essen ausgeben, auch kultivierter?
Strukturell im Grunde ja....
Weiterlesen in der TAZ, 23/11/2013 (als PDF)
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